ZEN notities onderweg
Brief Maarten Houtman aan Graf Dürckheim

Lieber Graf Dürckheim!

Ihr Brief vom 7. Juli hat mir wirklich ganz grosse Freude gemacht, nicht nur, weil Sie meinem Buch ein kurzes Vorwort vorausschicken wollen, sondern auch, weil dieser Brief auf seine Weise viele Jahre überbrückt hat und wir wieder zurück sind in den Gesprächen von einem Meister zu einem Schuler.
In den vergangenen Jahren bin ich mir mehr und mehr bewusst geworden, dass ich wirklich ein Schuler von Ihnen bin.
Ich habe mit meinen Kräften denselben Leitfaden ergriffen, den Sie einst mir gezeigt haben, namentlich dem Zen ganz treu zu bleiben und all das Formelle, was auch mit Zen zu tun hat, beiseite zu lassen und mich ganz und gar allein auf das Wichtigste zu konzentrieren.

Beim ersten Gespräch, und das war schon eine Übungsstunde, haben Sie mir gezeigt, wie man sitzen soll auf einem Stuhl, wie man atmen soll und auch haben Sie mir dann die grosse Summ–Übung des Zen gegeben.
Das war also 1956.
Vier Jahre danach, bin ich eine Woche in Rütte gewesen und ich habe täglich eine Übungsstunde mit Ihnen gehabt. Sie lehrten mich das Kin-hin und auch wie es ist, auf einem Kissen zu sitzen. Und Sie haben mir differenziert erzählt über den Atem, über das Anhalten vom Ausatem, die Pause am Ende und was das inhaltlich bedeutet. Das ist, soweit ich mich erinnern kann das einzige an wirklichen Übungsstunden, die wir gehabt haben. Aber das war genug. Sie haben mich, und das geht wieder zurück auf 1956, mit einem Mal auf den Weg gesetzt.
Und seitdem weiss ich – und das geht bis auf den Tag von heute – dass ich es selbst machen muss.
Das hat aber auch bedeutet, dass vielleicht alle Fehler, die man machen kann, ich auch gemacht habe. Das hat die Zeit verzögert.
Aber andererseits habe ich soviel Fehler gemacht, dass ich ganz schnell und auch mit Liebe die Fehler meiner Schüler verstehe und Ihnen helfen kann.
Nachdem haben wir ab und an Gespräche gehabt, viele Jahre, jedes Jahr in der Ferienzeit. In 1969 habe ich Sie gefragt, ob es ein guter Gedanke wäre, in kleinen Gruppen anzufangen, die Übung des Zen zu vermitteln. Sie sagten ‘Ja’ und dann hat erst für mich die grosse Arbeit angefangen.
Das ganz spontane ‘Ja’ von Ihnen hat mich bis heute begleitet, und ich habe erfahren, dass das ‘Ja’ ein wirkliches Ja war.
So, wie Sie mich in 1956 auf den Weg gesetzt haben, haben Sie mit dem spontanen, vollen ‘Ja’ meine Arbeit in den Gruppen immer begleitet.
Und vom ersten Tag an fand die Arbeit in Gruppen ihre eigene Form. Ich habe bis heute das Gefühl gehabt, dass die Arbeit ein selbstständiges Etwas ist und das nur ein völliges sich-übergeben da sein muss in der Konzentration, wodurch dann die Arbeit sich von selbst vollzieht.
Auch wenn ich kleine Ansprache halte, weiss ich nur am Anfang das Thema und nicht, wie ich es sagen soll. Aber auch das findet immer seine eigene Form.
Und wenn ich nachher auf Tonband höre, was ich gesagt habe, wundere ich mich oft, dáss ich es gesagt habe, nicht weil ich abwesend war, sondern weil etwas Tieferes in mir eine Stimme gefunden hat, die ich nicht als die meinige erkenne. Aber dies ist schon so viele Jahre so dass ich es heute als etwas ganz Selbstverständliches erfahre.
Diese Arbeitsweise macht es mir ganz leicht, gut zu lauschen, wenn jemand mich etwas fragt. Es geht für mich ganz alleine darum, in voller Konzentration da zu sein und meine Arbeit zu machen.
Ich erzähle Ihnen dies alles, weil es mir wichtig vorkommt, dass Sie genau wissen, wie ich arbeite, und auch, dass Sie wissen sollen, dass ich so viel von Ihnen empfangen habe. Vielleicht ist dies ein sehr eigentümliches Meister-Schuler-Verhältnis, aber wie ich erfahren habe, gibt es so eines auch.
Lieber Meister und guter alter Freund, ich hoffe, dass ich Ihnen hiermit das Wenige gegeben habe, an das ich mich ganz klar erinnere. Die letzte Zeit verwischt das Vergangene immer mehr, und ich verstehe ganz gut, dass es darum geht, nur hier und nun (jetzt) zu sein, zu leben und wirklich völlig wach da zu sein. Die Eile ist verschwunden und auch die Traurigkeit über alles, was in der Welt geschieht. Es wird immer stiller; was bleibt ist völlig übergeben zu arbeiten.
Dazu braucht man all seine Kräfte, auch und besonders, um in anderen das zu erkennen und zu intensivieren.

Lieber Meister, ich hoffe Sie in guter Gesundheit und voller Übergabe wieder zu sehen. Auf wiedersehen, mit groszer Dankbarkeit,

Ihr getreuer
Maarten Houtman